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Interview mit dem Vorstand

Geschäftsjahr 2022/23

Der Umbau des Energiesystems ist ein Generationenprojekt


 

Im Gespräch mit den Vorständen der EVN, Stefan Szyszkowitz und Franz Mittermayer.

 

Erneuerbare Energien – sprich Wind- und Sonnenenergie sowie Wasserkraft – entwickeln sich sehr dynamisch. Können wir uns bereits zur Gänze auf Ökostrom verlassen? 

 

Stefan Szyszkowitz: Manchmal ja, manchmal nein. Besonders eindrucksvoll ist mir hier der 2. Juli 2023 in Erinnerung. An jenem Sonntag gab es im europäischen Stromsystem einen so enormen Überschuss an erneuerbar erzeugtem Strom, dass dieser am Nachmittag vorübergehend zu einem negativen Spotpreis von 500 Euro pro MWh gehandelt wurde – in anderen Worten: Man musste für die Einspeisung ins Netz sogar zahlen. Die Folge war, dass europaweit erneuerbare Kapazitäten vom Netz genommen und Windparks vorübergehend abgeschaltet wurden, bei Donaukraftwerken wurde Wasser an den Turbinen vorbeigeleitet. 

 

Dieser exemplarische Tag lässt eine Reihe an Schlussfolgerungen zu: Die erste ist, dass der von Gesellschaft und Politik im Sinn des Klimaschutzes propagierte Ausbau der Erneuerbaren europaweit große Fortschritte macht. Das beobachten wir auch in unserem niederösterreichischem Netzgebiet, vor allem durch die rasant wachsende Zahl an dezentralen Photovoltaikanlagen. Jedoch: So beachtlich der Ausbau im Bereich Wind- und Solarstrom auch ist, brauchen wir doch dringend wirtschaftlich und technisch marktreife Lösungen, um die Überschussproduktion zu nutzen und – noch wichtiger – saisonal speicherbar zu machen. Die größte Herausforderung eines emissionsfreien europäischen Energiesystems ist das Management des Energiebedarfs im Winter – und damit in einer Zeit, in der wir typischerweise nicht genug Wind, Sonne und Wasserkraft haben, um den Bedarf zu decken.

 

Welche Ansätze sehen Sie hier bzw. mit welchen Ansätzen beschäftigt sich die EVN?

 

Franz Mittermayer: Ein naheliegender Ansatz sind sektorübergreifende Lösungen, etwa die Nutzung erneuerbarer Energie für Raumwärme bzw. als Hybridspeicher für die Fernwärmeversorgung. Eine andere Möglichkeit ist der Betrieb von Elektrolyseanlagen, die beispielsweise aus Sonnenenergie grünen Wasserstoff erzeugen. Dieser kann dann bei Bedarf wieder in Strom zurückverwandelt werden. Eine Pilotanlage dazu betreibt unter dem Titel „Underground Sun Storage“ gerade unsere Tochtergesellschaft RAG, und auch wir sind als Kooperationspartnerin an diesem Projekt beteiligt. Die Innovation dabei – und das ist europaweit einzigartig – ist die Idee, den grünen Wasserstoff in ausgeförderten geologischen Erdgaslagerstätten der RAG zu speichern und bei Bedarf zur Strom- und Wärmeerzeugung zu nutzen. Wir sind überzeugt davon, dass grüne Moleküle ein wichtiger Baustein der Energietransformation sein werden. Denn gerade sie helfen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, und das ist die wichtigste Anforderung an eine Energieversorgerin wie die EVN.

 

Auch im Netzbereich gibt es neue Konzepte, die zur Entlastung des Systems beitragen können, indem mittels spezieller IT-Lösungen Nachfragespitzen durch Verbrauchsflexibilisierung vermieden werden. Mit dem Erwerb der CyberGrid, die sich seit ihrer Gründung auf die Entwicklung von Software genau für diesen Anwendungsbereich spezialisiert, haben wir uns als Konzern auch auf diesem Gebiet Expertise gesichert. 

 

Wenden wir uns den Zahlen zu. Bei den Investitionen haben Sie das Niveau nochmals nach oben geschraubt, die Bandbreite liegt jetzt bei 700 bis 900 Mio. Euro pro Jahr. Was sind die Gründe für diesen Anstieg?

 

Szyszkowitz: Der Umbau des Energiesystems ist ein Generationenprojekt, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Unsere Planungen für die Weiterentwicklung der Netzinfrastruktur sprechen eine klare Sprache. Dabei ist es wichtig, dass wir in den nächsten Jahren weiter massiv in zusätzliche Umspannwerke, Trafostationen, Leitungen auf allen Netzebenen bis hin zu Software investieren. Wir haben die Netzkapazität in Niederösterreich zwar schon zwischen 2019 und 2023 von 1.500 MW auf 3.000 MW verdoppelt. Diesen Wert müssen wir jedoch bis 2030 noch einmal auf bis zu 6.000 MW steigern. Nur so können wir gewährleisten, dass die stark wachsende erneuerbare Erzeugung aus Wind- und Sonnenkraft in das Energiesystem integriert und in die verbrauchsintensiven Regionen transportiert werden kann. Gleichzeitig müssen wir die Netze noch besser auf die Anforderungen der E-Mobilität sowie auf den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen ausrichten. Nimmt man alle diese Themen zusammen, müssen wir allein in das niederösterreichische Stromnetz in den nächsten Jahren bis zu 450 Mio. Euro pro Jahr investieren. Hinzu kommen der Ausbau der erneuerbaren Erzeugung, der Ausbau der Trinkwasserversorgung in Niederösterreich und die Investitionen in Südosteuropa.

 

Mittermayer: Ein zusätzlicher Investitionsschwerpunkt erwartet uns in den nächsten Jahren in den Bereichen IT und Software. Denn die Energiezukunft kann nur mit Unterstützung modernster und leistungsfähiger IT-Lösungen funktionieren. Hocheffizientes Datenmanagement unter Wahrung strenger Sicherheitsanforderungen ist Grundvoraussetzung für ein neues Energiemarktdesign.

 

Bleiben wir beim Ausbau der Erneuerbaren. Was tut sich hier?

 

Mittermayer: Noch nie in unserer Unternehmensgeschichte war der Zubau bei den Erneuerbaren so stark wie derzeit. Zum Bilanzstichtag hatten wir eine installierte Windkraftleistung von 447 MW, bis Jahresende 2023 werden wir zwei weitere Projekte mit einer Gesamtleistung von rund 30 MW ans Netz bringen. Parallel dazu findet der Baubeginn für einen weiteren Windpark und ein Repowering-Projekt statt. Wir bekennen uns zu unserem Ausbauziel bei Wind von über 770 MW bis 2030, das durch eine Pipeline mit einer Vielzahl an Projekten in unterschiedlichen Projektphasen solide abgesichert ist.

 

Auch der Photovoltaikausbau geht zügig voran. Hier halten wir zum Bilanzstichtag bei rund 42 MWp – und diesen Wert werden wir mit Großflächenanlagen in Dürnrohr und in Nordmazedonien bis Jahresende 2023 verdoppeln. Bei der Photovoltaik setzen wir bewusst auf regionale Diversifizierung, zumal wir in unseren südosteuropäischen Märkten Nordmazedonien und Bulgarien im Schnitt auch mehr Sonnenstunden erreichen als in Niederösterreich. Wie bei Windkraft bestätigen wir auch unser Photovoltaik-Ausbauziel von 300 MWp bis 2030.

 

Was bedeuten all diese Umbrüche und Veränderungen für Ihre Mitarbeiter*innen? 

 

Szyszkowitz: Jedenfalls eine Fülle an spannenden Themenstellungen. Wir als Vorstandsmitglieder sind beeindruckt und dankbar, mit wieviel Elan, Leidenschaft und Professionalität unsere Kolleginnen und Kollegen Tag für Tag ihre vielfältigen und verantwortungsvollen Aufgaben erfüllen. Die vor uns liegenden Herausforderungen sind umfassend und anspruchsvoll, und ihre Bewältigung erfordert zum Teil völlig neue Qualifikationen. Um hier auch auf personeller Ebene gut gerüstet zu sein, präsentieren wir uns auf dem Arbeitsmarkt als innovative, zukunftsorientierte und verantwortungsvolle Arbeitgeberin. Wir denken, dass wir hier auch wirklich ein attraktives Angebot machen können: Die Arbeit an der Energiezukunft, der Versorgungssicherheit und der Zufriedenheit unserer Kundinnen und Kunden ist eine sinnstiftende Tätigkeit. Und die Antworten auf die großen Fragen und Herausforderungen unserer Branche haben letztlich immer die Menschen! 

 

Anfang Oktober 2023 hat die EVN seit langer Zeit wieder einen Capital Markets Day veranstaltet. Welche Themen standen dabei im Mittelpunkt?

 

Szyszkowitz: Wir haben die Gelegenheit genutzt, um den Kapitalmarkt im Rahmen unseres Strategie-Updates über unser erweitertes Investitionsprogramm zu informieren. Die Themen Ausbau der Erneuerbaren, Speicherbarkeit von Überschussenergie oder Netzausbau waren auch dort zentrale Inhalte. Zudem haben wir auf Basis unserer Planannahmen mittelfristige wirtschaftliche Perspektiven gegeben. Wir konnten auch zeigen, dass sich die EVN schrittweise in Richtung All-Electricity-Zukunft bewegt und damit die zunehmende Nachfrage nach Elektrizität abdecken können wird. 

 

Ein weiterer Schwerpunkt war die ESG-Positionierung der EVN Aktie. Wir arbeiten intensiv an dem mit der Science Based Targets Initiative vereinbarten Zielpfad zur sukzessiven Reduktion der Treibhausgasemissionen in allen unseren Aktivitäten. Dazu haben wir auch angekündigt, dass wir beim Thema Klimaschutz bei unseren Ambitionen nachbessern wollen. Die vor zwei Jahren akkordierten wissenschaftsbasierten Reduktionsziele beziehen sich auf die Zielgröße deutlich unter 2°C. Nun prüfen wir eine Anpassung an das ambitioniertere Ziel von 1,5°C. 

 

Im Geschäftsjahr 2022/23 stand der Energievertrieb an Endkund*innen unter massivem Ergebnisdruck. Wie wird sich dieser Bereich weiter entwickeln?

 

Szyszkowitz: Die Verwerfungen historischer Dimension auf den Großhandelsmärkten haben in den vergangenen zwei Jahren den Energievertrieb massiv belastet. In den letzten Monaten beobachten wir allerdings schrittweise Rückgänge der Spot- und der Terminpreise. Deshalb erwarten wir für die EVN KG im laufenden Geschäftsjahr wieder positive Ergebnisbeiträge.

 

Grundlegende strategische Änderungen wurden im September für das internationale Projektgeschäft angekündigt?

 

Mittermayer: Die EVN hat vor 20 Jahren die WTE übernommen. Seither wurde eine Vielzahl von Projekten in Ost- und Südosteuropa erfolgreich umgesetzt. Derzeit realisiert die WTE in Kuwait gerade den größten Auftrag ihrer Unternehmensgeschichte. Dieses Projekt ist ein großer Erfolg für die WTE. Nach coronabedingten Hindernissen ausgerechnet zu Projektbeginn wird das Vorhaben nun planmäßig umgesetzt. Die Kläranlage ist de facto fertig, die Leitungsinfrastruktur ist es zu zwei Dritteln. Mit diesem Projekt – und natürlich all den anderen 120 Aufträgen, die sie bereits realisieren durfte – verfügt die WTE über Referenzen, die ihr internationale Wachstumsmöglichkeiten eröffnen. Auch im Bereich der thermischen Klärschlammverwertung konnte sie sich in den letzten Jahren mit interessanten Aufträgen erfolgreich positionieren. Daher sind wir im Management der EVN zu dem Schluss gekommen, dass wir neue Eigentümer*innen identifizieren wollen, die die WTE in ihrer nächsten Wachstumsphase besser begleiten können als die EVN. Denn für die EVN gibt es im Energiebereich in den nächsten Jahren sehr viele Herausforderungen und Wachstumspotenziale, auf die wir uns voll und ganz konzentrieren wollen.

 

Was bedeutet das alles für die Performance Ihrer Aktie und Ihre Positionierung auf dem Kapitalmarkt?

 

Szyszkowitz: Für das Geschäftsjahr 2022/23 werden wir, wie bereits im Mai 2023 angekündigt, eine Dividende von 0,52 Euro pro Aktie zuzüglich einer Sonderdividende von 0,62 Euro pro Aktie vorschlagen. 

 

Für die Zukunft definieren wir unsere Dividendenpolitik neu. Wir setzen uns hier das Ziel, jährlich mindestens 0,82 Euro pro Aktie auszuschütten. Zudem bekennen wir uns dazu, unsere Aktionär*innen an künftigen Ergebnissteigerungen in angemessener Höhe zu beteiligen. Mittelfristig streben wir eine Ausschüttungsquote von 40 % des um außerordentliche Effekte bereinigten Konzernergebnisses an. Gleichzeitig möchten wir unsere Ratings im soliden A-Bereich beibehalten.

 

Herr Mittermayer, zum Abschluss eine persönliche Frage: Welches Resümee ziehen Sie angesichts Ihres bevorstehendes Pensionsantritts über Ihr Berufsleben und Ihre Zeit bei der EVN?

 

Mittermayer: In den letzten 30 Jahren meines Berufslebens, in denen ich für die EVN tätig war, war ich stets mit sehr interessanten und verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Das Unternehmen zeigte sich – ebenso wie alle Kolleginnen und Kollegen – immer als sehr wandlungsfähig, Herausforderungen wurden stets als Chancen zur Veränderung und zur Weiterentwicklung erkannt. Diesen Geist sehe ich tief in unserer DNA verankert, und auch die jungen Mitarbeiter*innen nehmen diese Unternehmenskultur in positiver Weise auf, um sie aus Sicht ihrer Generation weiterzuentwickeln. Daher bin ich auch fest davon überzeugt, dass wir die Energiezukunft auf allen Ebenen gut bewältigen werden. Dafür wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen sowie dem neuen Vorstandsteam alles Gute.